27. April 1945

27. April 1945

erster jüdischer Gottesdienst

nach dem Holocaust auf deutschen Boden 


Am 29.03.1945 marschierten amerikanische Truppen in Bad Nauheim ein und setzten Bürgermeister H. ab. An dessen Stelle wurde Herr Bräutigam berufen.


Am 27.04.1945 beschloss der Stadtrat die „Räumung und Reinigung der Synagoge“.


Man sollte bedenken, dass die Aktionen des Bad Nauheimer Stadtrates vor der Kapitulation des Dritten Reiches stattfanden.


Am 27.04.1945 fand in der Synagoge erstmals seit 1938 wieder ein Gottesdienst statt. Er wurde vorwiegend von amerikanischen Soldaten besucht.


Von den Juden, die ehemals in Bad Nauheim gelebt hatten, nahmen am Gottesdienst, soweit feststellbar, teil:


Ralph Baum als amerikanischer Soldat, später Professor an einer amerikanischen Universität;


Leo Rosner als Mitglied des Gemeindevorstandes, KZ-Überlebender, später in die USA ausgewandert;


Frau Wagner geb. Sandinell, überlebte KZ Theresienstadt, später in Bad Nauheim verstorben, auf dem jüdischen Friedhof begraben;


Marcus Wachtel war von seiner Frau, einer Christin, mit Hilfe eines Bad Nauheimer Gastronomen versteckt worden, später in Bad Nauheim verstorben, jüdischer Friedhof und


Fritz Mai KZ-Überlebender, später in die USA ausgewandert, dort verstorben.


Laut einer schriftlichen Mitteilung von Frau Irma Baum soll Frau Wagner Ralph Baum von der Frauenempore, als sie ihn wiedererkannt hatte, zugerufen haben: „Ralph, leben deine Eltern noch?“


Im Jahre 1945 waren teilweise bis zu tausend Juden in Bad Nauheim ansässig. Es gab der gleichen Quelle zufolge Hinweisschilder, die den Weg zur Synagoge wiesen.


Die jüdische Bevölkerung bestand aus amerikanischen Soldaten, die oft Kinder deutscher Emigranten waren, ferner sogenannten Displaced Persons (D.P.), d.h. ehemaligen Zwangsarbeitern aus Osteuropa, und KZ-Überlebenden, darunter die hier erwähnten Bad Nauheimer Juden.


Dadurch, dass Bad Nauheim der einzige Ort in Mittelhessen war, der über eine intakte Synagoge und über einige wiedererrichtet jüdische Hotels verfügte, entschlossen sich viele KZ-Überlebende und D.P.s nach Bad Nauheim zu kommen


Die Stadtverwaltung setzte alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel ein, um ein „jüdisches Leben“ in der Stadt wieder möglich zu machen. Diejenigen Häuser, die von NS-Organisationen „übernommen“ worden waren, das waren die Frankfurter Straße 58/65 und 103/105, wurden in jüdisches Eigentum zurückgeführt.


Die vorwiegend osteuropäischen Juden in Bad Nauheim bereiten in den Räumen der ehemaligen jüdischen Bezirksschule ihre Auswanderung nach Israel vor, vereinzelt auch nach Kanada und in die USA. Ganz wenige von ihnen sind hier „hängengeblieben“.


In Bad Nauheim sind die jüdischen Friedhöfe und die Synagoge erhalten geblieben. Sie stellen die letzten Zeugen einer jahrhundertealten jüdischen Geschichte dar.


Ein Neubeginn des Gemeindelebens hat nach 1945 stattgefunden. Jahrzehntelang sind im Sommer einige hundert deutsche jüdische Emigranten aus Israel, den USA, Holland, England usw. hierhergekommen und haben mitunter am religiösen Leben der Gemeinde teilgenommen.


Auszüge aus dem Buch

„Die Geschichte der Bad Nauheimer Juden“ von Stephan Kolb


Artikel in der Zeitschrift "Jüdische Welt" vom 13. Juli 1945: "Die neue Synagoge von Nauheim. Unser Bild zeigt die von amerikanischen Soldaten wieder hergestellte Synagoge von Bad Nauheim. Da in Nauheim keine jüdischen Einwohner übrig geblieben sind, wird das Gotteshaus vorläufig nur von den jüdischen Jungens des XIX. Corps besucht. Die Einweihung erfolgt durch Assistant Corps Chaplain Samuel Binder."   Quelle: alemannia-judaica

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